Der Schriftsteller als Vermittler

Menschen

mit Herman Schlösser. Wiener Zeitung, 08.10.2004. Link zum Interview

Wiener Zeitung: Wo gehört man hin, wenn man als arabischer Schriftsteller in Wien lebt und fließend Deutsch spricht? Wie empfindet man sich selbst?

Tarek Eltayeb: Ich bin in Kairo geboren und aufgewachsen, aber mein Vater kam aus dem mittleren Sudan. Meine Großmutter mütterlicherseits stammte aus Nordägypten. Wenn ich gefragt werde, ob ich Sudanese oder Ägypter bin, sage ich: beides. Werde ich gefragt: Bist du ein echter Araber oder ein Afrikaner?, dann antworte ich: Von der Hautfarbe her fühle ich mich - besonders in Europa! - als Afrikaner, aber meine Muttersprache ist Arabisch. Außerdem lebe ich seit zwanzig Jahren in Wien, und es gibt sehr viel, was ich hier aufgenommen habe. Also habe und bin ich von allem etwas: arabisch, afrikanisch, europäisch, islamisch, christlich, und wahrscheinlich noch einiges mehr.

Wiener Zeitung: Aber die Sprache Ihrer Literatur ist Arabisch?

Tarek Eltayeb: Ja, ich schreibe nur Arabisch. Bis heute kann ich keine literarischen Texte auf Deutsch schreiben. Ich weiß nicht, ob ich das eines Tages schaffen kann, jedenfalls brauche ich noch Zeit dafür. Arabisch ist die Sprache, in der ich mich wohl fühle, in der ich locker gehen und sogar fliegen kann. Ich habe sie in der Koranschule mit ungefähr dreieinhalb oder vier Jahren zu lernen begonnen und mein ganzes Leben lang gesprochen. Englisch, Französisch und Deutsch kamen erst später dazu

Wiener Zeitung: Wie wichtig ist Ihnen die arabische Literatur?

Tarek Eltayeb: Die ersten Gedichte und Texte, die ich gelesen und auswendig gelernt habe, waren arabisch. Ich bin mit der kleinen Bibliothek meines Vaters aufgewachsen, der sehr gern Romane gelesen hat. Er hat alle Bücher, die er gekauft hat, binden lassen und seinen Namen darauf geschrieben. Als Kind habe ich geglaubt, mein Vater wäre Schriftsteller, weil auf allen Büchern sein Name stand. Als ich noch nicht lesen konnte, habe ich meinen Vater imitiert, wie er die Zeitung las. Er bewegte den Kopf von rechts nach links, und ich auch.

Arabische Kultur von innen

Die arabische Schrift und die arabische Kultur sind sehr tief in mir verankert. Meine Großmutter hat im ältesten Teil von Kairo gewohnt, und die Welt, die Nagib Machfus in seinen Büchern beschreibt, erscheint europäischen Lesern wahrscheinlich sehr exotisch, aber mir ist sie vertraut. Ich kenne dieses Leben ganz genau aus meiner Kindheit. Natürlich habe ich mich - besonders seit ich in Wien lebe - mit der Literatur anderer Länder und Sprachen beschäftigt, doch die arabischsprachige Literatur ist der Boden geblieben, auf dem ich mit beiden Beinen stehen kann. Sie spielt eine große Rolle, und ich versuche, immer auf dem Laufenden zu bleiben.

Wiener Zeitung: Europäer kennen wohl vor allem die Literatur der in Europalebenden arabischen Autoren. Wie aber sieht die Literatur aus, die in den arabischen Ländern selbst geschrieben wird?

Tarek Eltayeb: Es gibt dort viele Autoren und Autorinnen, die im Schatten leben. Sie gewinnen keine internationalen Preise, werden nicht übersetzt, sprechen selbst keine Fremdsprache, und oft stehen sie dem Regime ihres Landes ablehnend gegenüber.

Wer dem Regime kritisch gegenüber steht, hat wenig Aussichten auf Erfolg. Viele von diesen Autoren schreiben sehr gute literarische Texte, die man allerdings nur auf Arabisch lesen kann, sofern sie nicht der Zensur zum Opfer gefallen sind. Europäer haben dadurch großteils keinen Zugang zu diesen Texten.

Grenzen und Unterschiede

Wiener Zeitung: Wir sagen „die arabische Welt“, dabei gibt es doch zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede. Wie wichig sind denn die regionalen Verschiedenheiten?

Tarek Eltayeb: Die arabischen Führer behaupten gerne, dass die arabische Welt sehr homogen wäre. Homogen ist aber nur die Hochsprache: alle Araber können einander verstehen. Aber die Grenzen sind sehr streng gezogen, manche Bücher aus einem Land sind in einem andern Land nicht erhältlich, und auch die Menschen können sich meistens nur schwer oder gar nicht von einem Land ins andere innerhalb dieser großen Region bewegen. Die gemeinsame Basis ist zwar die Sprache und die Religion, doch gibt es natürlich zwischen Marokko und Oman oder zwischen dem Irak und dem Sudan große Unterschiede in politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht.

Diese Verschiedenheit ist gut, vor allem auch für Literatur, aber meistens wird das Einheitliche der Religion und der Sprache stark betont, und man hängt noch immer der Idee eines Panarabismus nach.

Der Terrorismus

Wiener Zeitung: Zur Zeit wird „die arabische Welt“ in Europa und in den USA vor allem mit islamistischen Selbstmord-attentäern und ähnlichen Schreckensbildern identifiziert. Könnte die Literatur dem entgegen wirken, indem sie die Vielfal der verschiedenen arabischen Kulturen zeigt?

Tarek Eltayeb: Das hoffe ich. Das Bild, das derzeit durch die Welt geht, ist schrecklich einfach. Wenn ein Schriftsteller Josef Baumann heißt, fragt man: Was hat er geschrieben? Sind seine Bücher gut oder nicht? Heißt ein Schriftsteller aber Mohammed Ahmed, fragt man sofort: Wo kommt er her? Ist er ein Moslem? Mehr will man nicht wissen. Seit dem 11. September 2001 ist es leider unser Schicksal, dass wir uns ständig verteidigen müssen, was ich wirklich hasse. In unseren Ländern wird jetzt oft gesagt, wir müssen mit Hilfe der Kunst ein schöneres Bild zeichnen als das, welches von uns existiert. Das ist falsch. Wir sollen nur versuchen, durch unsere Literatur zu zeigen, wie die Realität ist. Ohne Beschönigung, ohne Exotik, aber differenziert.

Verrückte fanatische Gruppen hat es in der arabischen Welt immer gegeben. Aber früher haben die Europäer dies nicht zur Kenntnis genommen. Viele Terroristen sind nach Europa gegangen und man hat sie dort als religiös Verfolgte unterstützt. Heute identifiziert man mit ihnen "den Islam". Wenn irgendwo eine europäische radikale Gruppe auftritt, wird sie nicht als "christliche" Vereinigung bezeichnet, auch wenn sie sich selbst so nennt. Wenn sich aber irgendeine terroristische Gruppe, von der man nicht genau weiß, woher sie stammt, als "islamisch" bezeichnet, wird das sehr ernst genommen.

Wiener Zeitung: Aber hängt das nicht damit zusammen, dass man sich das riesige Gebiet zwischen Algerien und Afghanistan als einen geschlossenen Block vorstellt, der schon allein durch seine Größe bedrohliche Ausmaße annimmt?

Tarek Eltayeb: Ja, man sieht diesen Teil der Welt als eine einzige Gefahrenzone an. Man sagt, von dort kommen die Verrückten, die Köpfe abhacken und Bomben legen, und mehr will man eigentlich nicht wissen. Nur die Länder, die viel Geld haben, werden ein wenig anders betrachtet. In Europa und den USA war viel von der Missachtung der Menschenrechte und von der Unterdrückung der Frauen im Sudan, in Algerien oder Libyen die Rede. Aber Kuwait wurde in dieser Diskussion meist vergessen, und Saudi-Arabien wurde immer freundlicher beurteilt als andere Länder, obwohl sogar Osama bin Laden und andere Terroristen von dort stammen. Das heißt, Länder, von denen man kein Erdöl bekommen kann oder die keine wichtige strategische Position im militärischen Interessenskalkül haben, werden immer mit strengstem Maßstab gemessen. Bei den reichen Ländern verschließt man anscheinend vor vielem die Augen.

Wiener Zeitung: In dieser schwierigen Situation hat die arabische Literatur nun die Chance, sich auf der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Was erhoffen Sie sich davon?

Tarek Eltayeb: Als Schriftsteller hoffe ich, dass ich durch die Buchmesse Leser bekomme, die mich und meine Welt besser verstehen lernen. Das Problem dabei ist, dass die Schriftsteller, die dort auftreten werden, nicht unbedingt die Literatur in ihrer Vielfalt zeigen - wenn es stimmt, was mir bis jetzt bekannt ist. Es gibt viele, die ich dort gerne sehen würde. Vielleicht kommen auch einige von ihnen, aber die Namen, die offiziell angekündigt sind, repräsentierten nicht die gesamte arabische Literatur. Es fehlen viele kritische Stimmen, und man ignoriert seitens der Arabischen Liga, die mit der Koordination beauftragt wurde, vollkommen die Autoren, die in Europa leben.

Aber ich hoffe, dass das Publikum trotzdem gute und interessante Autorinnen und Autoren im Rahmen von Lesungen und Diskussionen kennen lernt, und dass das Auftreten der arabischen Länder nicht, wie so oft, im Streit endet. Diese Gefahr besteht. Ich habe vor kurzem einen Artikel gelesen, in dem ein Autor aus Ägypten sagte: "Wir suchen einen Autor aus Mauretanien, und wir haben hier diesen Namen gefunden. Aber wir müssen ihn durchleuchten, ob er fähig und würdig ist, zur Buchmesse nach Frankfurt zu kommen." Warum soll ein Ägypter entscheiden, ob ein Autor würdig ist, Mauretanien zu vertreten? Das sind Vorgänge, die nicht in Ordnung sind. Ich wünsche mir, dass unsere Literatur dem Publikum in Frankfurt etwas geben kann - und dass sie zugleich auch etwas mitnimmt. Die arabische Welt sollte nicht nur ihre Waren präsentieren und dann wieder nach Hause fahren, sondern einen Austausch mit Deutschland und Europa beginnen, der sich in der Zukunft fortsetzt.